Ein Druck meiner Hände und der Ton verwandelte sich von einem maschinengeformten, jungfräulich glatten Quader in ein undefinierbares Etwas.

Dass dies der Anfang zu einem neuen Leben voller schöpferischer Begeisterung und Leidenschaft war, ahnte ich an diesem Abend im Frühsommer 2006 noch nicht. Ich versuchte nur, getreu den Vorgaben der Kursleiterin eines Weiterbildungsseminars, die an mich gestellte Aufgabe zum Thema KunstRaum zu erfüllen. Etwas gestalten. Kunst? Ausdruck? Innere Energie in einem Werk umsetzen? Mit diesen Begriffen konnte ich nicht viel anfangen, bis jetzt hatte mich die bildende Kunst kaum interessiert.

Ich entschied mich für das Material Ton, weil sich im Keller noch ein Hubel Ton finden liess.

Wie ich da so am Küchentisch sass und ziellos an dem Tonklumpen herumdrückte, war mir, einer handwerklichen Praktikerin, der Gedanke fremd, etwas „Unnützes“ zu produzieren. Nach einiger Zeit aber spürte ich, wie meine Hände und der Ton diese rationalen Gedanken verdrängten und sich stattdessen mit meinem Unterbewusstsein in Verbindung zu setzen schienen. Ich nahm die Eigenschaften und Beschaffenheit des Tons wahr, seine Verformbarkeit, seinen Übergang von klebrig zu glatt, von nass zu feucht, seinen elementaren Geruch, ich spürte ihn mit jedem einzelnen Finger, mit den Handballen und der ganzen Handfläche.

Und plötzlich war es, als wenn sich mein Unterbewusstsein auf den Weg begäbe zu meinen Händen. Ich empfand eine Energie, die aus der Mitte meines Körpers hin zu den Fingerspitzen floss und von diesem Moment an wusste ich nicht mehr, was wirklich geschah. Staunend beobachtete ich meine Hände, die drückten und kneteten, strichen und formten und so – einen Menschen erschufen, der nun vor mir auf dem Küchentisch sass. Wie wenn ich ihn geboren hätte, sass er da, dieser Mensch. Ich umfasste ihn wieder und aus dem Menschen wurde eine Frau und ich versuchte, atemlos und staunend, diese Frau ausdrücken zu lassen, was ich in diesem Moment empfand, Leidenschaft, Freude und Zuneigung. Ich hatte einen Menschen erschaffen, meinen Menschen. Von diesem Moment an wusste ich, dass ich ein unendlich grosses Geschenk in mir trug. Und ich hatte so lange nichts davon geahnt.

Das war der Anfang meines künstlerischen Schaffens. In der gleichen Nacht modellierte ich noch weitere fünfzehn Menschen, eine ganze Küche voll, ich konnte kaum noch aufhören.

Kurz darauf trat ich in den Fachkurs für plastisches Gestalten von Bildhauer Al‘Leu in Zürich ein, um die formalen Grundlagen und das technische Wissen für die Bildhauerei zu erlernen. Ich wurde in die plastischen und bildhauerischen Techniken wie Modellieren von Ton und Gips, Erstellen von Abgüssen in Gips und Beton sowie in das skulpturale Bearbeiten von Naturstein eingeführt.

In einer Firma für Kunststoffverarbeitung eignete ich mir das nötige Wissen an, um Polyesterplastiken herstellen zu können und in Holzbildhauerkursen lernte ich die Bearbeitung und Gestaltung von Holz.

 

Christina Räber